Die Big Five und das NEO-FFI

Anmerkung:

Das vorliegende Referat von Lars Kobbe stützt sich auf die deutsche Übersetzung von Peter Borkenau und Fritz Ostendorf (1993).

 

Inhalt:

1. Die Geschichte des NEO-Fünf-Faktoren-Inventars

2. Der Aufbau des Fragebogens

3. Die Auswahl der Statements bzw. Testitems

4. Die Interkorrelation der Faktoren

5. Die Problematik der Verfälschbarkeit

6. Einschätzungen durch Bekannte und Familienangehörige

7. Die Stabilität der Messungen

8. Anwendungsbereich

9. Diskussion und Ausblick

10. Literatur

 

 

 

1. Die Geschichte des NEO-Fünf-Faktoren-Inventars

Das NEO-FFI von Costa & McCrae (1989) ist eine Weiterentwicklung des NEO-PI (1985). Aufgrund der faktorenanalytischen Befunde fügten die Autoren den Faktoren Neurotizismus, Extraversion und Offenheit für Erfahrungen (NEO) zwei weitere Faktoren zu, die sie Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit nannten. Das Fünf-Faktoren-Inventar (FFI) sollte als Meßinstrument der allgemeinen Persönlichkeitsstruktur von Individuen dienen und sich in relativer kurzer Zeit durchführen und auswerten lassen.

2. Der Aufbau des Fragebogens

Der Fragebogen umfaßt 60 Statements (Aussagen), von denen jeweils 12 einem bestimmten Faktor zugeordnet werden können. Die Aufgabe der Versuchsperson besteht darin, anzugeben, in welchem Maße sie jedem einzelnen Statement zustimmt bzw. es ablehnt. Sie soll dabei möglichts ehrlich und gewissenhaft vorgehen und eine neutrale Aussage wenn möglich vermeiden. Ein Auszug aus dem Fragebogen ist im Anhang zu finden.

Die Hälfte der Statements ist negativ kodiert, um eine Verfälschung der Ergebnisse zu erschweren. Die Faktoren sind nacheinander angeordnet, so daß jedes fünfte Statement dem gleichen Faktor zugeordnet werden kann. Diese Anordnung ist gut in Tabelle 1 im Anhang zu erkennen.

3. Die Auswahl der Statements bzw. Testitems

Die Statements sollten zwei Bedingungen genügen: Sie sollten einerseits eine hohe Korrelation mit dem ihnen zugeordneten Faktor und andererseits möglichst niedrige Korrelationen mit allen anderen Faktoren aufweisen. Das ist teilweise nicht gut gelungen, wie die Daten für Item 27, 28, 29, 38 und 42 in Tabelle 1 im Anhang zeigen.

4. Die Interkorrelation der Faktoren

Die Interkorrelationen der Items läßt sich zum Teil dadurch erklären, daß auch die Faktoren bereits ein gewisses Maß an Interkorrelation aufweisen (siehe Tabelle 2). Sie liegen jedoch deutlich unter den internen Konsistenzen (siehe Tabelle 3).

Tabelle 2: Interkorrelationen der Skalen des NEO-FFI

 

Neurotizismus Extraversion Offenheit f. E. Verträglichkeit

Gewissenh.

Neurotizismus   -.33 .08 -.09 -.31
Extraversion -.33   .05 .16 .10
Offenheit f. E. .08 .05   .07 -.10
Verträglichkeit -.09 .16 .07   .10
Gewissenh. -.31 .10 -.10 .10  

Tabelle 3: Interne Konsistenzen

Neurotizismus

Extraversion

Offenheit für E.

Verträglichkeit

Gewissenh.

.85

.80

.71

.71

.85

 

Anhand der Tabelle 2 kann man bereits erkennen, daß Neurotizismus eine relativ hohe negative Korrelation mit den Faktoren Extraversion (-.33) und Gewissenhaftigkeit (-.31) hat. Die Interkorrelationen zeigen, daß alle fünf Bereiche mit gewissen Bewertungen behaftet sind, wobei Neurotizismus meist negativ bewertet wird. Ein Beispiel mag diesen Zusammenhang erklären: Ein Proband mit einem relativ hohen Wert im Bereich der Extraversion wird dazu tendieren, sich relativ niedrig im Bereich Neurotizismus (Interkorrelation -.33) einzuschätzen, dafür aber höher im Bereich Verträglichkeit (Interkorrelation .16).

5. Die Problematik der Verfälschbarkeit

Da die vom NEO-FFI erfaßten Bereiche nicht frei von Bewertung sind, liegt es nahe zu vermuten, daß einige Probanden zu einer positiveren Selbstdarstellung neigen. Das NEO-FFI ist wie jeder andere Persönlichkeitsfragebogen prinzipiell verfälschbar und sollte deshalb nur in solchen Bereichen eingesetzt werden, in denen nicht davon auszugehen ist, daß die Probanden ein Interesse an einer falschen Selbstdarstellung haben.

Um das Ausmaß der Verfälschbarkeit zu untersuchen, wurden einige Probanden gebeten, sich selbst besonders positiv darzustellen. Die Mittelwertsunterschiede waren wesentlich höher als in vergleichbaren Selektions- und Forschungssituationen (Häcker, Schwenkmezger & Utz, 1979, zitiert nach Borkenau & Ostendorf, 1993). Damit soll belegt werden, daß die falsche Selbstdarstellung unter normalen Umständen nur geringe Ausmaße annimmt.

6. Einschätzungen durch Bekannte und Familienangehörige

Um die Validität und die Ehrlichkeit der Fragebogenergebnisse zu überprüfen, wurden zwei Untersuchungen mit Bekannten und Familienangehörigen der Probanden durchgeführt.

In einer Untersuchung an 300 Personen wurden ihnen und jeweis drei Bekannten oder familienangehörigen ein Adjektivskalentest zur Bearbeitung vorgelegt. Ein Vergleich ergab relativ niedrige Korrelationen (siehe Tabelle 4).

In einer anderen Untersuchung von Ostendorf (1990, zitiert nach Borkenau & Ostendorf, 1993) wurden 116 Personen mit dem NEO-FFI getestet. Die NEO-FFI (R)-Form wurde den Bekannten bzw. Familienangehörigen anschließend zur Bearbeitung geschickt. Ostendorf ermittelte relativ hohe Korrelationen, die in Tabelle 5 zu sehen sind.

Tabelle 4: Korrelationen über den Adjektivskalentest

Neurotizismus

Extraversion

Offenheit für E.

Verträglichkeit

Gewissenh.

.27

.43

.23

.30

.45

Tabelle 5: Korrelationen über den NEO-FFI und NEO-FFI (R)

Neurotizismus

Extraversion

Offenheit für E.

Verträglichkeit

Gewissenh.

.59

.62

.60

.43

.61

7. Die Stabilität der Messungen

Eine Teilstichprobe von 146 Probanden wurde nach zwei Jahren erneut getestet. Ihre Ergebnisse zeigten eine relativ hohe Retest-Stabilität (siehe Tabelle 6).

Tabelle 6: Retest-Stabilität der einzelnen Faktoren

Neurotizismus

Extraversion

Offenheit für E.

Verträglichkeit

Gewissenh.

.80

.81

.76

.65

.81

8. Anwendungsbereich

Das NEO-FFI eignet sich dazu, innerhalb von kurzer Zeit "die wichtigsten Bereiche individueller Differenzen" (Borkenau & Ostendorf, 1993, S. 23) zu erfassen. Damit eignet sich das NEO-FFI, um z. B. Persönlichkeitsstrukturen innerhalb von Populationen zu erforschen. Problematisch ist jedoch die Normierung der Werte, da einzelne Persönlichkeitsfaktoren mit der Bereitschaft zur Teilnahme am Persönlichkeitstest korrelieren können. In der klinischen Psychologie finden meist spefizischere Tests Anwendung. Das NEO-FFI könnte hier als Hintergrund der allgemeinen Persönlichkeitsstruktur dienen. Im Bereich der Schullaufbahn- und Studienberatung ermöglicht das NEO-FFI (speziell der Faktor Gewissenhaftigkeit nach Digman, 1989, zitiert nach Borkenau & Ostendorf, 1993) eine relativ gute Voraussage über die Leistung. Die Autoren warnen davor, das NEO-FFI in Einstellungsverfahren und ähnlichen Situationen zu verwenden, in denen "die Probanden vermutlich daran interessiert sind, einen bestimmten Eindruck von sich zu vermitteln." (Borkenau & Ostendorf, 1993)

9. Diskussion und Ausblick

Zum NEO-FFI wie auch zu anderen Persönlichkeitsfragebögen seien zunächst ein paar generelle Kritikpunkte genannt, auf die nicht weiter eingegangen werden soll:

Ein Problem dieser Fragebögen ist die Möglichkeit, daß einige Probanden die Intention der Statements durchschauen und so die Ergebnisse gezielt verfälschen können. Auch eine negative Kodierung kann dieses Problem nicht zufriedenstellend lösen. Die systematische Reihenfolge der Statements (jedes fünfte Statement bezieht sich auf den selben Faktor) erhöht das Risiko meiner Meinung nach erheblich. Eine zufällige Anordnung wäre eine wünschenswerte Verbesserung.

Die Statements sind oft sehr umständlich formuliert (z. B. Item 42: "Ich bin kein gut gelaunter Optimist.") und laufen so Gefahr, von den Probanden falsch verstanden zu werden. Eine verständlichere Formulierung würde den Probanden sicherlich eine bessere Selbsteinschätzung ermöglichen.

Unverständlich sind für mich die Auswahl der Items 27, 28, 29, 38 und 42. Intention dieser Item-Auswahl sollte eine eindeutige Faktorladung sein, allerdings läßt sich diese bei den genannten Items kaum erkennen. Auch wenn es eine Abweichung vom englischen Original bedeutet hätte, wäre eine neue Auswahl sinnvoll gewesen.

Die Untersuchung von Häcker, Schwenkmezger & Utz (1979) zur verfälschten Selbstdarstellung halte ich für wenig aussagekräftig. Es ist schließlich unmittelbar einsichtig, daß Probanden, die zum "Lügen" aufgefordert wurden, wenig Rücksicht auf die spätere Beurteilung der Fragebogenergebnisse nehmen. Die höheren Mittelwertsunterschiede lassen sich dadurch erklären, daß Probanden unter normalen Umständen wesentlich subtiler "lügen", da sie eine spätere Kontrolle befürchten müssen.

Es ist zu bedauern, daß die sehr wichtige Frage der Validität durch eine unabhängige Einschätzung von Bekannten und Familienmitgliedern nicht ausreichend geklärt wurde. Der Adjektivskalentest kann, aber muß keine repräsentative Form der Validierung des NEO-FFI darstellen und weist lediglich mäßige Korrelationen auf. Das NEO-FFI (R) (Untersuchung von Ostendorf, 1990) zeigt zwar eine gute Validität, diese ist aber durch die mangelhafte Durchführung nur mit Vorsicht zu genießen. Unerklärlich für mich ist, warum das NEO-FFI (R) nicht unter kontrollierten Bedingungen durchgeführt wurde, denn so hätte man verhältnismäßig einfach zu aussagekräftigen Validitätswerten kommen können.

Abschließend möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß die Theorie der Big Five (und damit auch das NEO-FFI) noch immer sehr umstritten ist. Auch wenn das NEO-FFI es vermag, eine individuelle Persönlichkeitsstruktur in ihrer Ganzheit zu erfassen, sind die gewonnen Informationen jedoch so knapp und allgemein, daß sie vielleicht keine effektiven Voraussagen ermöglichen.

10. Literaturverzeichnis

Borkenau, P. & Ostendorf, F. (1993). NEO-Fünf-Faktoren Inventar (NEO-FFI) nach Costa und McCrae. Handanweisung. Göttingen: Hogrefe.

Costa, P. T. & McCrae, R. R. (1985). The NEO Personality Inventory. Manual Form S and Form R. Odessa, Florida: Psychological Assessment Resources. [zititert nach Borkenau & Ostendorf]

Costa, P. T. & McCrae, R. R. (1989). The NEO PI/FFI manual supplement. Odessa, Florida: Psychological Assessment Resources. [zititert nach Borkenau & Ostendorf]

Digman, J. M. (1989). Five robust trait dimensions: Development, stability, and utility. Journal of Psychology, 57, 195-214. [zititert nach Borkenau & Ostendorf]

Häcker, H., Schwenkmezger, P. & Utz, H. (1979). Über die Verfälschbarkeit von Persönlichkeitsfragebogen und Objektiven Persönlichkeitstests unter SD-Instruktion und in einer Auslesesituation. Diagnostica, 25, 7-23. [zititert nach Borkenau & Ostendorf]

Ostendorf, F. (1990). Sprache und Persönlichkeitsstruktur: Zur Validität des Fünf-Faktoren Modells der Persönlichkeit. Regensburg: Roderer. [zititert nach Borkenau & Ostendorf]